Brandrede

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Transkript

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00:00:05: Herzlich Willkommen beim Podcast Brandrede. Mein Name ist Henrike Brandstötter und ich bin liberale Politikerin und Autorin. Wir haben heute den 1. März und der ist seit einigen Jahre der Tag, an dem darauf aufmerksam gemacht werden soll, dass Frauen immer noch einen Großteil der Care Arbeit übernehmen. Passenderweise fällt er auch genau zwischen den Weltfrauentag am 8. März und den Equal Pay Day, der in Österreich auf den 21. Februar fällt. In relativ kurzer Zeit haben wir damit einige Tage, die auf die immer noch bestehende Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau hinweisen und im besten Fall eine Veränderung oder zumindest eine Wahrnehmung für die Problematiken im eigenen Denken und Handeln herbeiführen sollen. Wir befassen uns heute aber erstmal mit dem Equal Care Day, nächste Woche geht es dann weiter, und zwar mit dem Weltfrauentag.

00:01:01: Ins Leben gerufen wurde der Equal Care Day im Jahr 2016, von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Die beiden arbeiten als freiberufliche Journalist_in, bilden ein Autorenteam, geben Workshops, Vorträge und Fortbildungen zum Thema Equal Care. Der Equal Care Day fällt eigentlich auf den 29. Februar, den es bekanntlich nur alle 4 Jahre gibt. Heißt das wir sollen uns diesen Tag nur alle 4 Jahre ins Gedächtnis rufen? Nein. Die Wahl fiel aus einem ganz speziellen Grund auf den 29.2. Er ist, dadurch dass wir ihn nur in Schaltjahren mitzählen, in den anderen Jahren „unsichtbar“. Genauso wie die Care Arbeit selbst, all die Arbeiten, die so passieren, die wir nicht wirklich wahrnehmen, aber trotzdem da sind.

00:01:52: Jetzt fragt sich vielleicht der eine oder der andere, was bedeutet also Care Arbeit überhaupt und warum sollen Frauen das häufiger verrichten als Männer? Care ist eigentlich ein englischer Begriff und bedeutet wortwörtlich übersetzt Pflege oder auch sich um jemanden kümmern. Im Deutschen wird daher der Begriff „Care Arbeit“ oft mit Pflegearbeit gleichgesetzt. Das ist nicht ganz falsch aber auch nicht ganz richtig. Pflegearbeit fällt auch unter Care Arbeit, aber eben nicht nur. Care Arbeit umfasst all jene Arbeit, die mit „Sich-Kümmern“ einhergeht. Beginnend bei der Versorgung und Begleitung von Säuglingen, Kleinkindern und Schulkindern, fällt auch die familiäre und professionale Pflege und Unterstützung bei Behinderung oder Krankheit von Bekannten, Freunden, Familienmitgliedern darunter, aber auch die Altenpflege, Sterbebegleitung und schlussendlich auch Tätigkeiten wie Grabpflege wird als Care Arbeit bezeichnet. Das sind aber nur die Grundlegenden Handlungen der Care Arbeit, also die nicht alltäglichen Arbeiten. Dazu kommen aber noch die alltäglichen immer wiederkehrenden Arbeiten, wie kochen, putzen, Wäsche waschen, Wäsche bügeln, Wäsche zusammenlegen und wegräumen, einkaufen, zusammenräumen, Geburtstagsgeschenke besorgen, Feiern planen, Gemütlichkeit zu Hause schaffen, Instandhaltung von Geräten, Arzttermine vereinbaren, und, und, und. Und wenn wir die eurozentrische Definition von Care Arbeit verlassen, dann beginnt Care Arbeit in manchen Ländern schon mit Tätigkeiten wie Brennholz sammeln, Trinkwasser besorgen und so weiter. Mit all diesen Arbeiten einher geht übrigens ein weiteres Phänomen, mit dem sich der Equal Care Day beschäftigt, nämlich der „Mental Load“.

00:03:36: Mental Load. Was ist das? Der Mental Load beschreibt das Wissen, die Organisation und die Verantwortung, um Care Arbeit verrichten zu können. Die Koordinierung der Familie, damit alles glatt läuft und sich niemand Gedanken darum machen muss, wie der nächste Tag, das Wochenende oder der Feierabend verläuft. Auch das Beobachten der Familienmitglieder, das Achten auf deren Bedürfnisse, auf deren Gesundheit, den Gefühlszustand fallen da etwa darunter. Dieser Mental Load soll eben genauso wie Equal Care, equal, also gleich verteilt werden.

00:04:18: Gleichwertig aber nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen jung, alt, arm, reich und so weiter. Was dabei aber nicht passieren soll ist, verschiedene Care Arbeiten gegeneinander auszuspielen, also bezahlte gegen unbezahlte, freiwillige gegen professionelle. Es heißt auch nicht, dass jede und jeder gleich viel an Care Arbeit leisten muss, es sollte aber zu einem ausgeglichenen Verhältnis kommen und vor allem ein Bewusstsein geschaffen werden, dass diese Arbeit, die da geleistet wird, nicht einfach so passiert, sondern mit viel Aufwand verbunden ist. Gerade nach dem letzten Jahr der Pandemie, mit den immer wiederkehrenden Lockdowns, sollte uns bewusst sein wie wichtig diese sogenannten „systemrelevanten“ Arbeiten sind und ihnen nicht nur Anerkennung zukommen lassen.

00:05:08: Ein Grund, warum das oft nicht der Fall ist, wurde von der OECD untersucht. Arbeit wird von unserer Gesellschaft mit einer Form von Anstrengung aus der eine bezahlte Leistung wird gleichgesetzt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass unbezahlte Leistungen nicht als anstrengend gesehen werden. Um dieses Bild, dieses Phänomen nicht ungesehen zu lassen definierte die OECD daher den Begriff „Arbeit“ folgendermaßen. „Alles, was auch eine andere, unbeteiligte Person (gegen Bezahlung) erledigen könnte, ist Arbeit.“ Diese Definition von Arbeit ist aus einem ganz einfachen Grund wichtig. In Diskussionen um bezahlte, unbezahlte Arbeit, Haushalt, Kinder, Bürojob fällt oft das Argument, dass man in einem 0815 Bürojob ja ohnehin schon 12 Stunden arbeitet, wenn man dann nach Hause kommt, will man nicht gleich weiterarbeiten müssen. Tja das stimmt schon, aber Hausarbeit ist nun mal auch Arbeit und die muss fair und gerecht aufgeteilt werden.

00:06:12: Kommen wir also jetzt zu den Zahlen, die das Ganze untermauern. Im Gender Report der OECD 2019 wurde festgehalten, dass Frauen immer noch 10-mal mehr Care Arbeit verrichten als ihr männlicher Gegenpart im Haushalt. Diese Ungerechtigkeit wurde uns gerade in der Coronakrise vor Augen geführt. Rollenbilder wurden wieder aus den Schubladen der 50er Jahre wieder hervorgeholt, selbst in Familien und Beziehungen in denen Frauen dachten gleichberechtigte Partnerinnen zu sein. In der Zeit, in der die Wohnung zum Office wurde, beschäftigten sich Frauen laut einer Studie der UN vom April 2020, 3 Stunden länger damit Care Arbeit zu verrichten. Unter dem Fokus der Coronakrise sollte der Equal Care Day also noch relevanter werden.

00:07:08: Relevanz bekommen Dinge, wenn man sie misst, wenn man sie mit Zahlen hinterlegt, Evidenz schafft. Eine Möglichkeit ist die Teilnahme eines Landes an einer Zeitverwendungsstudie. Eine Zeitverwendungsstudie zeigt, wie Menschen ihre Zeit verbringen. Die letzte Teilnahme von Österreich liegt bereits 10 Jahre zurück. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass Österreich endlich wieder an einer Zeitverwendungsstudie teilnimmt, drückt mir die Daumen, anscheinend soll es im Oktober 2021 so weit sein, dass auch Österreich wieder nach langem hartem Kampf an der Zeitverwendungsstudie teilnimmt. Die Studie erhebt europaweit Daten über die Aufteilung der Arbeit zwischen Frauen und Männern.

00:07:54: Wenn wir uns die letzten verfügbaren Daten anschauen, die, wie gesagt schon 10 Jahre alt sind, sehen wir, dass der Anteil unbezahlter Arbeit hierzulande beträchtlich ist. Nimmt man ehrenamtliche Tätigkeiten hinzu, so übersteigt er sogar jenen Anteil der Erwerbsarbeit. Demnach werden zwei Drittel der Haus- und Sorgearbeit von Frauen geleistet.

00:08:20: Die Ökonomin Katharina Mader setzte diese Daten mit dem Brutto Inlands Produkt in Verbindung. Der Anteil der unbezahlten durch Frauen verrichtete Arbeit beträgt demnach 30% des BiP. Das sind etwa 100 bis 105 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist unfassbar viel Geld, das Frauen eben nicht verdienen. Wie gesagt, die Datenlage ist bereits 10 Jahre alt, eine fundamentale Änderung der Rollenbilder ist aber nicht zu erwarten.

00:08:57: Warum aber geht die Schere innerhalb der Care Arbeit immer noch so stark auseinander? Immerhin leben wir im Jahr 2021, sind aufgeklärt, tun unser Bestes um feministisch zu agieren und lassen uns im Allgemeinen auch nicht mehr so viel gefallen, wie noch vor einigen Jahren. Glauben wir zumindest.

00:09:15: Man kann natürlich sagen, dass sich jeder von uns den Beruf selbst aussuchen kann. „Hey, du kannst dir aussuchen, ob du Topmanager oder Pflegehilskraft wirst.“ Die Initiatoren des Equal Care Day, entgegnen dieser Annehme aber damit, dass man bei einer 80 oder sogar 90%igen Überhangsverhältnis die Wahlfreiheit nicht mehr gegeben sein kann. Denn, sobald die Geschlechterverhältnisse so eklatant sind, ist es schwer, die vielen Hürden und Vorbehalte zu überwinden.

00:09:50: Dann gibt es noch diejenigen, die sagen, dass Frauen fürsorglicher und für Sorgearbeit besser geeignet wären, sie sind empathischer, es liegt ihnen quasi in den Genen. Und diese Prägung, dass Frauen fürsorglicher und für Sorgearbeit besser geeignet wären, die beginnt schon sehr früh. Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahren arbeiten weltweit am Tag 160 Millionen Stunden mehr im Haushalt als gleichaltrige Buben. Die dürfen in der Zeit Lego bauen, Rad fahren und spielen. Aber nicht mit Puppen, denn auch beim Spielzeug sollen eher die Mädchen üben, fürsorglich zu sein. Und das bringt aber auch für Männer Nachteile. Wenn ich mcih nämlich nicht um andere kümmern kann, kann ich mich auch nicht um mich selbst kümmern. Deshalb gehen Männer etwa später zum Arzt, ihnen wird zudem beigebracht, risikofreundlicher zu sein.

00:10:45: Bei „Equal Care“ geht es aber nicht um Schuld, sondern darum, diese Entwicklungen zu erkennen und zu ändern. Dabei hinterfragt man zwangsläufig die eigene Erziehung, das eigene Umfeld, womöglich auch Karriereentscheidungen. Es gibt mittlerweile kleine Änderungen, aber sie gehen in der Gesellschaft auch sehr langsam voran. Mit dem Gender Care Gap einher, gehen nämlich auch andere Themen, wie etwa der Gender Pay Gap. Care Arbeit wird nämlich nicht nur öfter von Frauen verrichtet, sondern auch weniger gut entlohnt als andere Berufsgruppen. Da beißt sich die Katze ein bisschen in den Schwanz, was es also braucht ist auf jeden Fall eine gerechtere Verteilung.

00:11:28: Eine schnellere Umstellung könnte man da zu Hause angehen, also in den eigenen vier Wänden, da ist man nämlich auch sein eigener Chef oder seine eigene Chefin. Wichtig ist es einen Überblick zu bekommen wer macht was, wann und wie oft. Das zeigt einerseits gewisse Muster auf, die einem selbst vielleicht gar nicht bewusst sind, andererseits bietet es eine Grundlage, um Veränderung anzugehen. Oft sind wir Frauen uns ja selbst auch gar nicht bewusst, dass wir den gröbsten Teil der Care Arbeit übernehmen und wenn wir das nicht merken, dann wird es bei unseren männlichen Counterparts noch lange nicht angekommen sein.

00:12:06: Auch für die kommenden Generationen gilt es neue Wege zu bereiten. Die Rollenverteilung in der Care Arbeit wurzelt in der Vergangenheit. Wir dürfen nicht leiser werden, wenn der Rest der Gesellschaft sich zurücklehnt und behauptet, Frauen können die Arbeit nicht abgegeben, die tun sich so schwer damit, Care Arbeit liegt in den Genen oder sie können es nicht so gut. Das ist alles totaler Blödsinn!

00:12:38: Bereits im Kindergarten müssen wir ganz genau hinschauen und Stereotypisierung aus dem Bildungssystem entfernen. Das ist ein Mammutprojekt und mit Sicherheit nicht von heute auf morgen machbar, es muss aber dringend angegangen werden.

00:12:52: Dann stellt sich noch die Frage, wie soll denn Care Arbeit in Zukunft aussehen? Care Arbeit soll gerecht aufgeteilt beziehungsweise angemessen honoriert und entlohnt werden. Damit einher geht die Anpassung von Gehältern in Frauenberufen. Wir haben ja bereits gehört, dass Branchen in denen vermehrt Frauen arbeiten im Vergleich wesentlich schlechter bezahlt werden. Das muss aufhören. Mit der Angleichung dieses Gehaltsunterschiedes wären wir auch der Schließung des Gender Pay Gaps einen großen Schritt näher und damit der Freiheit in der Geldbörse, einer zentralen Forderung von mir. Deshalb kann ich auch nur alle Frauen auffordern, stellt euch auf die Beine. Fordert eine gerechte, faire Entlohnung. Vor allem wenn sich Frauen zusammentun. Wenn viele Frauen genau die gleichen Forderungen haben und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, dann sind wir stark!

00:13:52: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vor allem, liebe Frauen. Wenn ihr diesen Podcast jetzt zu Ende gehört habt, dann war das auch Care Arbeit. Es war etwas, das ihr für euch getan habt, wo ihr auf euch geschaut habt.

00:14:19: Wenn du das nicht verpassen willst, abonniere meinen Podcast und folge mit auf meinen Social-Media-Kanälen. Ich freu mich auf dich!

Über diesen Podcast

Der erste österreichische Polit-Podcast.

Henrike Brandstötter ist Abgeordnete zum Nationalrat. Sie ist NEOS-Sprecherin für Frauen & Gleichbehandlung, Medienpolitik, Afrika, Startups & EPUs, Auslandsösterreicher_innen sowie Afrika & Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht es um spannende Themen und unentdeckte Geschichten aus diesen Bereichen, gespickt mit Kuriositäten aus dem Leben im Parlament.

Henrike Brandstötter ist urban im Kopf, trägt das Landleben im Herzen, pendelt zwischen Wien und Mondsee und ist jedes Jahr mehrere Wochen als Backpackerin in Afrika unterwegs. Sie ist zudem Autorin und teilt ihre Gedanken gerne im Blog Brandrede.

von und mit Henrike Brandstötter

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