00:00:06: Herzlich willkommen beim Podcast Brandrede. Mein Name ist Henrike Brandstötter, ich bin Autorin und liberale Politikerin. Zwei meiner Bücher beschäftigen sich mit Afrika, ich bereise unseren nächsten Kontinent jedes Jahr für einige Wochen und ich beschäftige mich deshalb auch mit einer Debatte, die afrikanische Intellektuelle seit den 1960er Jahren vorantreiben, und die nun endlich Fahrt aufnimmt: Nämlich der Restitution, also der Rückgabe, afrikanischer Kunst und von Artefakten, die den Menschen in Afrika geraubt und abgepresst wurden oder die auf ungeklärte Weise in europäischen Museen landeten.
00:00:46: In dieser Folge möchte ich euch erklären, was es für eine Milliarde Menschen in Afrika bedeutet, wenn sie keinen Zugang zu ihrem kulturellen Erbe haben – und weshalb das auch etwas mit Österreich zu tun hat.
00:01:02: Wir schreiben den 28. November 2017, der französische Präsident Emmanuel Macron ist seit einem halben Jahr im Amt, eine seiner ersten Reisen führt ihn nach Burkina Faso. Das westafrikanische Land war seit Ende des 19. Jahrhunderts bis 1960 französische Kolonie und hieß noch bis 1984 „Republik Obervolta“. Macron spricht also an der Universität von Ouagadougou vor 800 Studierenden und einigen Politikern, er spricht über neue Formen der Zusammenarbeit, über Terrorismus und religiösen Extremismus, über eine neue Art der Entwicklungszusammenarbeit, darüber, wie sich die Korruption bekämpfen ließe – und sagt dann die entscheidenden Sätze:
00:01:02: [00:01:52] „Ich gehöre einer Generation von Franzosen an, für die die Verbrechen der europäischen Kolonialisierung unbestreitbar und Teil unserer Geschichte sind.“ Und weiter: Das wichtigste Heilmittel ist Kultur – und in diesem Zusammenhang kann ich nicht länger akzeptieren, dass ein großer Teil des kulturellen Erbes mehrerer afrikanischer Länder in Frankreich verwahrt wird. Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“
00:02:20: Die Menge tobte, die Medienleute haben sofort zum Handy gegriffen: Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanischen Erbes an Afrika geschaffen werden.
00:02:37: Dieser Vorstoß kommt einer Revolution gleich, einem tektonischen Beben. Innerhalb wie außerhalb Afrikas sehen jene, die schon seit langem für die Rückgabe des verlorenen Erbes kämpfen, ein neues Zeitalter anbrechen: Sie sprechen davon, dass die „Post-Ouagadougou-Zeit“ begonnen hat.
00:02:56: Die Rede von Ouagadougou betrifft zuerst einmal Paris und seine bedeutenden und prestigeträchtigen Sammlungen. Macron beauftragt den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr und die französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy damit, einen Bericht mit Handlungsanleitungen zur Restitution der afrikanischen Artefakte zu verfassen, aber innerhalb kürzester Zeit hat die Debatte ganz Europa erfasst. Ganz Europa? Nicht unbedingt. In Österreich wird sie eher verhalten geführt. Zwei Jahre nach Macrons Grundsatzrede und ein Jahr nachdem, Sarr und Savoy ihren Bericht vorgelegt hatten, habe ich das Thema nach Österreich geholt.
00:03:41: Ich bereise Subsahra-Afrika regelmäßig und ich weiß daher auch aus erster Hand, was es für Menschen bedeutet, wenn sie keinen Zugang zu ihrem kulturellen Erbe habe. Man steht dann beispielsweise in Benin, einem kleinen westafrikanischen Land, vor den Königspalästen von Abomey. Das sind herrliche Lehmpaläste, die seit 1985 auch UNESCO-Weltkulturerbe sind. Wenn man sich eine Eintrittskarte kauft und dann gemeinsam mit Einheimischem eine Führung durch die beeindruckenden Lehmpaläste macht, dann geht man durch leere Räume, leere Gänge – es gibt nur sehr wenige, meist wertlose Gegenstände zu sehen.
00:04:27: Die Kulturschätze Afrikas lagern fast ausnahmslos außerhalb des Kontinents, die meisten davon in Europa. Eine Milliarde Afrikanerinnen und Afrikaner hat keinen Zugang zu seinem kulturellen Erbe. Und wer sich kein Bild von seiner Vergangenheit machen kann, kann auch kein Bild von seiner Zukunft entwickeln.
00:04:48: Ihr müsst euch das einmal umgekehrt vorstellen: Stellt euch vor, wie das wäre, wenn alle unsere Museen, Kirchen, Schlösser und Bibliotheken leergeräumt wären. Wenn alle Kunstschätze, Bücher und Einrichtungsgegenstände stattdessen in afrikanischen Museen lagern würden. Malt euch aus, wie es wäre, wenn die Afrikanerinnen und Afrikaner dann sagen: „Keine Sorge, bei uns ist alles sicher verwahrt. Wir können gut damit umgehen, wir haben tolle Häuser, um eure Kulturgüter aufzuheben. Ihr könnt natürlich jederzeit kommen, ein Eintrittsticket kaufen und euch eure Dinge bei uns ansehen. Ja, es ist vielleicht ein bisschen blöd, dass ihr kein Visum für unsere Länder bekommt und wenn, dann könnt ihr euch häufig auch keinen Flug leisten, aber, hey, vertraut uns. Ihr findet auch viele hübsche Fotos von euren Kunstgegenständen im Internet.“
00:05:48: Ich denke, es ist klar, dass das kein Zugang ist, den wir gutheißen wollen. Wir Europäer_innen haben schon auf vielfache Weise von den spektakulären Masken, den mystischen Figuren und den einzigartige Alltagsgegenstände profitiert: Viele europäische Künstler_innen und Architekten_innen haben sich von der unvergleichlichen Ausdruckskraft, von der kraftvollen Formensprache afrikanischer Kunst inspirieren lassen. Und so konnten sie Großes schaffen. Was in Afrika geraubt oder abgepresst wurde, hat in Europa beispielsweise Le Corbusier zu außergewöhnlichen Bauten beflügelt; es war der Grundstein für Picassos afrikanische Phase und so auch die Initialzündung für den Kubismus. Die Auseinandersetzung mit afrikanischen Formen und Ästhetiken hate den Beginn der klassischen Moderne markiert und die europäische Kunst revolutioniert. Nicht mehr und nicht weniger. Zeitgenössischen afrikanischen Künstlerinnen und Künstlern fehlen hingegen oft diese Inspirationsquellen. Sie können sich eben nicht von Werken aus der eigenen Vergangenheit leiten lassen, denn geschätzt 90 Prozent der afrikanischen Kunst außerhalb des eigenen Kontinents aufbewahrt wird.
00:07:05: Die Bestände der europäischen Museen sind gewaltig. Im British Museum lagern mehr als 200.000 afrikanische Objekte, im Musée royal de l’Afrique centrale in Belgien sind es 180.000, das Humboldt Museum in Berlin hat 75.000 Objekte, um nur einige zu nennen. Im Weltmuseum in Wien sind es 37.000 Objekte. Afrika wurde richtiggehend leergeräumt. Europa hat wie wild gerafft, verschifft und gehortet. Die Museen und Afrikasammlungen sind erstaunliche Konservatorien der menschlichen Schöpferkraft. Sie sind zugleich auch Verwahrer einer dunkleren Geschichte, wo viele Kapitel noch nicht oder viel zu selten erzählt werden.
00:07:58: Die Geschichte dieser Afrikasammlungen ist eine gemeinsame europäische Geschichte. Es ist, wenn man so will, eine Familienangelegenheit. Und wie so oft in größeren Familien, gibt es sehr viele unterschiedliche Zugänge, wie man denn nun mit afrikanischer Raubkunst umgehen soll: Die Zugänge reichen von der völligen Verweigerung, sich auch nur ansatzweise mit dem Thema auseinanderzusetzen bis hin zur Forderung völliger und sofortiger Rückgabe.
00:08:28: Es kommt zu den absurdesten Ausreden und Unterstellungen: Afrikanerinnen und Afrikaner müssen sich von Kommentator_innen beispielsweise nachsagen lassen, dass sie nicht in der Lage sind, ihr kulturelles Erbe zu verwalten. Wenn man hier etwas zurückgeben würde, dann würden sie es nur verschachern oder verwahrlosen lassen, sie hätten ja nicht die geeigneten Häuser, Museen und Lager. Sie hätten nicht das notwenige archivarische und restauratorische Wissen. Gerne wird noch hinzugefügt, dass die Werke ja ohnehin keine Kunst gewesen wären, nicht als solche geschaffen worden seien und erst der museale Kontext in Europa den entsprechenden Rahmen geschaffen hätte. Also, dass Europa aus banalem Alltagsgegenständen überhaupt erst Kunst gemacht hat.
00:09:15: In der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ durfte eine Kommentatorin sich zu einer noch jenseitigeren These versteigen. Sie schrieb, dass die Afrikanerinnen und Afrikaner ja für radikale Religionen anfällig wären, das wisse sie genau, und diese radikalen Religionen wiederum würden dafür sorgen, dass die Gläubigen ihre Objekte und Kunstwerke zerstören würden. Also, man darf den Afrikaner_innen ihr Eigentum nicht zurückgeben, denn sonst kommt mit Sicherheit ein radikaler Imam oder ein verrückter Evangelist des Weges und befiehlt die Zerstörung.
00:09:51: All diese Ausflüchte zeigen eine tief verwurzelte, koloniale Denkweise. Und häufig basiert diese Denkweise auch auf Ahnungslosigkeit: Afrika steht in der Wahrnehmung für Kindersoldaten, Blutdiamanten, Seuchen und fehlgeleitete Entwicklungszusammenarbeit, für Krieg, Katastrophen und Konflikte.
00:10:19: Vielen Afrikaner reicht`s langsam. Der Prozess dauert ihnen zu lange, sie haben verständlicherweise keine Lust darauf, sich ständig beleidigen zu lassen, sie sitzen bei den Debatten nicht am Tisch und sie werden nicht oder viel zu wenig eingebunden. Das ruft auch Aktivisten auf den Plan, zum Beispiel den Kongoloesen Mwazulu Diyabanza. Er steht immer wieder vor Gericht, weil im Black-Panther-Look durch Museen mit Afrikasammlungen geht, lautstark das Unrecht kommentiert, sich dabei filmt – und dann Gegenstände mitnimmt. In Paris hat er einen Grabpfosten mitgenommen, in den Niederlanden eine Statue, auch in Marseille war er aktiv. Diyabanza begründet seinen Aktionismus so: „Der Umstand, dass ich mein Geld dafür bezahlen musste, etwas zu sehen, das gewaltsam dort weggenommen wurde und dahin zurück gehört, wo ich herkomme, hat aus einer Entscheidung eine Tat werden lassen.“ Er könnte auch in Österreich aktionistisch tätig werden, denn obwohl unsere koloniale Vergangenheit kaum der Rede wert ist, lagert erstaunlich viel in unseren Museen. Ich habe das 2019 mittels einer parlamentarischen Anfrage erhoben:
00:11:33: Im Weltmuseum Wien sind in der Sammlung Afrika südlich der Sahara 36.249 Inventarnummern verzeichnet, dabei handelt es sich um Alltags- und Gebrauchsgegenstände, höfische Sammlungen, Waffen & Schilde, Textilien, Masken, Figuren, Keramiken, Musikinstrumente, Malereien etc. Vor allem sind im Weltmuseen zwei Bronzen, die weltweit einmalig sind: es handelt sich um zwei Hofzwerge aus dem ehemaligen Königreich Benin, dem heutigen Nigeria. In der Sammlung Nordafrika im Weltmusuem sind weitere 8.508 Inventarnummern betroffen, meist Alltags- und Gebrauchsgegenstände. Auch im Kunsthistorische Museum, dem MAK und dem Technischen Museum lagert einiges. Das Naturhistorische Museum hat ebenfalls Artefakte, darunter auch sogenannte Human Remains, also menschliche Überreste.
00:12:36: Das Weltmuseum arbeitet schon länger an Provenienzforschung. Viele der Objekte kann man sich auch online von zuhause aus ansehen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Es lohnt sich sehr, die Links finden sich auf der Website des Weltmuseum.
00:12:51: Nachdem also meine Anfrage zurückkam, so ein kompakter Überblick da war, um welche Dimensionen es sich handelt, habe ich das Thema der afrikanische Raubkunst in die Politik getragen, Anträge geschrieben, viel und häufig darüber gesprochen, Mitstreiter_innen gesucht – und schlussendlich hat Staatssekretärin Andrea Mayer ein erstes Budget in der Höhe von 160.000 Euro freigeben, damit die Bundesmuseen vertieft Provenienzforschung betreiben können.
00:13:21: Das ist ein guter erster Schritt. Provenienzforschung führt idealerweise zum Ursprung und zum ersten Eigentümer eines Artefaktes zurück und verfolgt gerade dabei auch die oft wechselvolle Geschichte. Es heißt ja: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“. Das gilt auch für Kunstwerke. Und wenn die Kunstwerke Afrikas eines, hoffentlich baldigen Tages, dorthin zurückkehren, werden sie in Europa ebenfalls spannende Spuren hinterlassen haben.
00:13:57: Aber, ein großes Aber: Wir müssen auch aufpassen, dass hier nicht nur viel Rauch produziert wird, aber wenig Feuer. Mit dem Budget dürfen nicht nur intern Stellen aufgebaut werden, damit die Museen dann selbst ihre Bestände untersuchen können – und dass dann ohne unabhängige Beaufsichtigung, ohne Mitwirkende von außen, die in die Hierarchie der Häuser eingebunden sind.
00:14:20: Ganz im Gegenteil: Jetzt gilt es, unverzüglich und ohne falsche Vorspiegelungen afrikanische Persönlichkeiten an den Diskussionen zu beteiligen. Wir müssen die Stimmen von Aktivist_innen, von Intellektuellen, von politisch Verantwortlichen und Vertreter_innen der Museen hören; von Afrikaner_innen aus Afrika und solchen aus der Diaspora; von solchen, die eine Rückgabe wollen, und solchen, die sie nicht wollen; von Kunstförderern, Lehrenden und Künstler_innen. Das geht, spätesten, wenn wir geimpft sind auch persönlich. Da setzt man sich an einen Tisch, hier oder anderswo. Man hört einander zu. Und man achtet sorgfältig darauf, dass man sich nicht in den Zuständigkeitsbereich der anderen einmischt.
00:15:09: Meine Zuständigkeit ist die politische Bühne, und dort werde ich weiter für die Restitution und ein neues Afrikabild kämpfen. Ich danke euch fürs Zuhören. Wenn euch die Folge gefallen hat, ihr mehr hören wollt, dann abonniert den Podcast oder folgt mit auf meinen Social Media-Kanälen.
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