Brandrede

Brandrede

Transkript

Zurück zur Episode

00:00:05: Herzlich Willkommen beim Podcast Brandrede. Mein Name ist Henrike Brandstötter, ich bin liberale Politikerin und Autorin und in meinem heutigen Podcast geht es um ein Konstrukt, dass uns alle betrifft – es geht um Familie. Ganz konkret darum, wie wir es schaffen können Kinder und Arbeit unter einen Hut zu kriegen, wie wir mehr Männer dazu bringen in Karenz zu gehen und was eigentlich in Schulbüchern noch passieren muss, damit auch dort die tradierten Rollenmodellen endlich Stoff von gestern sind.

00:00:43: Ende April wurde zum sechsten Mal der Familienbericht vorgestellt. Beim Familienbericht handelt es sich um eine umfassende Bestandsaufnahme der Situation von Familien und der aktuelle Familienbericht bildet die Entwicklungen von 2009 bis 2019 ab, also umfasst einen Zeitraum von 10 Jahren.

00:01:08: Bei der Präsentation des hat der Studienleiter Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, etwas Bemerkenswertes gesagt. Nämlich das bei der Familienpolitik, ich zitiere. „Das Ende der Fahnenstange“ erreicht sei.

00:01:26: Diese Aussage halte ich für schwer problematisch, denn sieht man sich die aktuelle Situation der Familien in Österreich an, so kann man ganz klar sagen- Nein! Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Jede und jeder, die oder der selbst Familie hat, weiß das.

00:01:47: Viele Familien, Mütter und Väter, Alleinerziehende, die sich schlicht und ergreifend von der Politik alleingelassen fühlen. Und es gibt – gerade, wenn man sich den ländlichen Bereich ansieht – noch immer nicht genügend Kindergartenplätze, vor allem qualitative Kinderbetreuungsplätze für unter-3-jährige. Familie ist in Österreich immer noch zu einem überwiegenden Teil „Frauensache“, da die Väterbeteiligung an der Elternzeit immer noch viel zu gering ist. Das traditionelle Familienbild ist immer noch vorherrschend und wurde durch die Corona-Krise nur noch verstärkt. Die Mutter ist zuhause und kümmert sich um Haushalt und Kindererziehung, jetzt dann auch noch ums Homeschooling und der Vater geht arbeiten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – besonders für Frauen – ist nicht ansatzweise so gegeben, wie ich mir das vorstelle.

00:02:48: Jetzt also vom „Ende der Fahnenstange“ zu sprechen ist einfach ein Schlag ins Gesicht für all die Mütter und Väter, die tagtäglich jonglieren müssen, um Familie, Job, um weitere Care Arbeit, um Freizeit etc. unter einen Hut zu bekommen.

00:03:04: Unsere Regierung spricht ja auch immer vom „Comeback“. Wir haben einen Comeback-Bonus, einen Comeback-Plan, ganz ehrlich, ich will kein „Comeback“ zu Vor-Corona-Zeiten, da war nämlich nicht alles Gold was glänzt. Ich will kein antiquiertes Familienbild mehr, bei dem der Mann lediglich als Ernährer fungiert und die Frau zwischen Kindererziehung, Job und Homeschooling hin- und hergerissen ist. Ich will einen echten „Neustart für Familien“.

00:03:35: Und da stellt sich natürlich die Frage, was braucht es denn für einen Neustart bei Familien? Das aller wichtigste ist – wir brauchen moderne Karenzmodelle, deren Ziel es sein muss, dass sich mehr Väter an der Elternzeit beteiligen.

00:03:52: Wer Familie gründet, wird relativ rasch mit dem ersten Problem konfrontiert. Wer geht in Karenz? Mutter, Vater, beide? Die Antwort in Österreich ist meistens- die Mutter bleibt daheim und kümmert sich um das Kind. Die Gründe sind oft pragmatische, aber leider auch häufig gesellschaftliche, denn nicht nur Frauen werden noch viel zu sehr in traditionelle Rollenbilder gezwängt, auch die Männer kommen nicht aus ihrer Haut heraus, die in der Arbeit schief angesehen werden, wenn sie ihrem Vorgesetztem eröffnen, dass sie gerne in Karenz gehen und sich um ihre Kinder kümmern wollen.

00:04:32: Was muss also gemacht werden, um eine gleichwertigere Verteilung von Betreuungs- und Sorgearbeit zwischen den Eltern zu ermöglichen. Es braucht zum Ersten individuelle Ansprüche auf Karenz und zum Zweiten mehr Flexibilität beim Kinderbetreuungsgeld.

00:04:51: Kommen wir einmal zu dem Modell der individuellen Karenz sollen mehr Überlappungsmöglichkeiten ermöglicht werden. Wir NEOS wollen für jeden Elternteil einen individuellen Karenzanspruch im Ausmaß von max. 18 Monaten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes und einen besonderen Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses. Um mehr gemeinsame Zeit zu ermöglichen, muss es mehr Flexibilität geben. Das bedeutet, es soll möglich sein, dass auch beide Eltern gleichzeitig in Karenz gehen dürfen. Skandinavische Staaten haben vorgezeigt, wie ein System der gleichberechtigten Sorge- und Erziehungsarbeit aussehen kann. In Schweden kann man die volle Karenz im Ausmaß von 480 Tagen nur beanspruchen, wenn jeder Elternteil mindestens 90 Tage davon in Anspruch nimmt. Damit schafft man einen Anreiz für Väter und Mütter, sich eher zu gleichen Teilen der Betreuungsarbeit zu widmen.

00:05:57: Wenn wir also endlich die individuellen Karenzansprüchen schaffen, die zumindest zum Teil nicht auf den anderen Elternteil übertragbar sind, geht man einen wesentlichen Schritt hin zu einer wünschenswerten 50-50-Aufteilung, was Betreuungs- und Sorgearbeit angeht.

00:06:16: Und dann haben wir das zweite große Problem mit dem starren System des Kindergeldes. Der Anteil der Männer, der in Österreich in Karenz geht und einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bezieht, ist immer noch verschwindend gering. Zwar steigert sich der prozentuelle Wert langsam, von gleichwertiger Verteilung der Betreuungszeit kann aber lange noch keine Rede sein.

00:06:41: Nun sind die meisten Familien nicht nur Ein-Kind, sondern Mehr-Kind-Familien. Und in der Regel nehmen Mütter das Kinderbetreuungsgeld in Anspruch und steigen nach der Karenz wieder ins Berufsleben ein. In den meisten Fällen aber in reduziertem Stundenausmaß. Das führt häufig dazu, dass aufgrund des reduzierten Einkommens beim nächsten Kind sich auch der Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nicht mehr rentiert. Damit geht ein Anreizverlust für Männer einher, in Karenz zu gehen und Kinderbetreuungsgeld in Anspruch zu nehmen.

00:07:18: Zur Erklärung. Für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld muss neben den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen in den 182 Kalendertagen vor der Geburt des Kindes eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich und ununterbrochen ausgeübt werden. Es zählt nicht das Einkommen, sondern die Dauer.

00:07:49: Jetzt hat die türkis-grüne Regierung in ihrem Programm stehen, dass man bürokratischer Hürden bei Kinderbetreuungsgeld und Papamonat abbauen will. Schön und gut, das ist auch wichtig, aber es ist zu wenig. Es müssen sich aber auch die Bedingungen für Väter und Mütter verbessern, die sich den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes aufteilen möchten, damit beide möglichst viel Zeit mit ihren Kindern verbringen können. Deshalb müssen vor allem der Zugang und Anspruch auf einkommensabhängige Modelle des Kinderbetreuungsgeldes erleichtert werden.

00:08:23: Was wollen wir NEOS. Wir schlagen ein flexibleres Modell vor, mit dem sich Eltern die ausgewählte Variante des Kinderbetreuungsgeldes nicht nur untereinander aufteilen können, sondern, wenn sie das machen, auch individuell zwischen den Varianten wählen können. Also wenn für einen Elternteil die pauschale Variante attraktiv ist, und er oder sie seine/ihre Tage aufgebraucht hat, soll der zweite Elternteil ebenso wählen können, ob die einkommensabhängige oder die pauschale Variante für ihn/sie attraktiver ist. Das wäre echte Wahlfreiheit und man schafft einen Anreiz für Väter, sich aktiver in die Kindererziehung und Betreuungsarbeit einzubringen, weil dadurch Ängste vor Einkommensverlusten abgefedert werden können. Denn neben positiven Effekten für die Kinder, die mehr Bezug zu beiden Elternteilen haben können, kann diese Maßnahme auch als weiterer Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit durch eine fairere und gleichwertige Aufteilung von Erziehungs- und Betreuungsarbeit zwischen Vätern und Müttern gesehen werden.

00:09:40: Wir müssen uns als Gesellschaft einen Ruck geben und Väter dazu ermutigen – auch durch gezielte Aufklärung -, sich an der Elternzeit mehr zu beteiligen, denn Familie darf einfach nicht länger nur „Frauensache“ sein und es ist eigentlich traurig, dass wir im Jahr 2021 bei diesem Langzeitthema immer noch keine Fortschritte gemacht haben.

00:09:59: So und nach der Karenz, stellt sich auch die Frage der Kinderbetreuung. Auch da werden Familien immer noch unglaublich viele Steine in den Weg gelegt, denn gerade im ländlichen Raum gibt es immer noch viel zu wenig Angebote.

00:10:14: Österreich hat in den vergangenen Jahren zwar einige Fortschritte beim Ausbau von Kindergärten gemacht - vor allem bei der Betreuung der ganz Kleinen gibt es aber noch massive Defizite. Wie ein Europavergleich zeigt, sind nur wenige Staaten schlechter, wenn es darum geht, für Eltern von Unter-3-Jährigen ein zumindest 30-stündiges Betreuungsangebot pro Woche anzubieten. Sieht man sich die Statistik an, so sind Wien, Kärnten und Oberösterreich vorne mit dabei – die Schlusslichter machen das Burgendland und Niederösterreich. Österreichweit sind nur rund ein Viertel aller unter-3-Jährigen in Betreuung.

00:11:04: Wir müssen die Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen qualitativ und quantitativ ausbauen – womit wir auch klaren OECD-Empfehlungen folgen. Denn auch was Öffnungszeiten und Schließtage betrifft, ist die aktuelle Situation in Österreich nicht zufriedenstellend. Man muss sich mal vorstellen, außerhalb Wiens hat mehr als die Hälfte aller Kinderbetreuungseinrichtungen mehr als fünf Wochen im Jahr geschlossen. Wie soll sich das ausgehen frag ich mich. Das hat zur Folge, dass Frauen auch im weiteren Erwerbsverlauf nur selten in eine regelmäßige Erwerbstätigkeit wechseln, weils gar nicht anders geht. Auch was die Öffnungszeiten der Kindertagesheime angeht, zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. Knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen außerhalb Wiens schließt bereits vor 16 Uhr, fast ein Drittel sogar vor 15 Uhr. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lass.

00:11:58: Das sind vor allem männliche Bürgermeister, die in ihren Gemeinden darüber bestimmen, ob es eine Kinderbetreuung braucht und meistens ist die Antwort dann “Maximal halbtags. Man kriegt ja keine Kinder, um sie dann in Fremdbetreuung zu geben.“

00:12:20: Aber, dass knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen in Österreich täglich weniger als acht Stunden geöffnet hat, das geht an der Lebensrealität der Familien vorbei. Hier muss also rasch etwas passieren und das ist Aufgabe der Politik, für ausreichend Kinderbetreuungsplätze zu sorgen.

00:12:41: Was wollen wir? Wir fordern flächendeckende, flexible und günstige Kinderbetreuung in ganz Österreich mit ausreichend vielen Plätzen, insbesondere für die Kleinsten. Jetzt kann man sagen, das ist eine Wunschvorstellung aber ganz ehrlich Leute, andere Länder kriegen das auch gebacken! Ziel muss es sein, für jedes Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, und zwar ab dem ersten Kindergeburtstag. Daher fordern wir auch schon lange einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres. Wir haben auch ein Modell entwickelt, für eine Betreuung für unter-3-jährige und fordern eine Betreuung von mindestens 45 Stunden pro Woche, die von Montag bis Freitag geöffnet ist, an 4 Tagen pro Woche müssen sie mindestens 9,5 Stunden geöffnet haben es muss ein ordentliches Mittagessen geben und die Einrichtungen dürfen maximal 5 Wochen im Jahr geschlossen sein.

00:13:40: Man sieht also an diesen zwei Beispielen, dass bei Karenz und Kinderbetreuung noch lange nicht das „Ende der Fahnenstange“ erreicht ist und wir hier einen echten Neustart brauchen, denn ein Comeback zur Familienpolitik, wie sie immer schon war, ist für uns NEOS keine Option.

00:14:00: Zu einem echten Neustart gehört auch, dass wir antiquierte Rollenbilder aufbrechen. Uns nicht nur dessen bewusst sind, sondern wirklich aufbrechen innerhalb unserer Gesellschaft. Österreich ist nach wie vor ein sehr wertekonservatives Land, mit ausgeprägten traditionellen Rollenbildern und konservativen Familienvorstellungen. Und das fängt ja schon bei den Kleinsten an. Buben tragen blau, Mädchen tragen rosa. Buben spielen mit Autos, Mädchen mit Barbies. Daher ist es wichtig, eine gendergerechte Sensibilisierung bereits im Kindergarten und in der Schule zu implementieren. Denn schon in der frühsten Kindheit, im Alter von zwei, drei Jahren, bilden sich Geschlechtsvorstellungen aus. Kinder fangen an zu begreifen, was ein Junge und ein Mädchen ist.

00:14:45: Wir Eltern sind es ja oft, die auch vollkommen unbewusst diese Stereotypen vermitteln, wir haben sie ja auch selber unbewusst von unseren Eltern mitbekommen. Deshalb ist auch die Rolle der Schule wesentlich. Schule ist nicht nur ein Ort des Wissenserwerbs – Schule ist auch ein soziales Umfeld der Identitätsentwicklung, in dem Kinder ein Verständnis dafür entwickeln, wer sie sind und wie man sich dem anderen Geschlecht gegenüber verhält.

00:15:15: Was Schule aber auch machen muss, ist, ihre Unterrichtsmaterialien frei von sexistischen Stereotypen machen. In neun von zehn Schulbüchern werden mehr Männer als Frauen abgebildet. Von 101 Personen im Kontext von Erziehung und Haushalt werden 70 Frauen und 31 Männer gezeigt. Das sind Stereotype, die keine Vorbilder für junge Mädchen sind. Wie sollen die sich denn jemals ändern, wenn selbst in Unterrichtsmaterialien diese Unterrichtsmaterialien diese tradierten Vorstellungen weitergezogen werden. Das hat Einfluss auf die weitere Berufswahl, auf das Erwerbseinkommen, Arbeitsaufgaben und Aufstiegsmöglichkeiten und bereiten so auch den Nährboden für sexistisches Verhalten und diskriminierende Machtausübung.

00:16:06: Ihr seht, die Gräben, die es hier noch zu überwinden gilt, sind tief. Wenn nun also aus ÖVP-Ecke die Behauptung kommt, wir hätten „das Ende der Fahnenstange“ bereits erreicht, dann werde ich wirklich grantig. Man hat offenbar nicht verstanden, dass diese traditionelle Vorstellung der Rollenverteilung, die Wurzel von viel Übel ist und dass es Männern und auch Frauen in ihrem Leben besser gehen würde, wenn sie mehr Möglichkeiten haben verschiedene Rollen auch zu leben. Damit werden wir uns nicht abfinden und uns weiterhin unermüdlich im Parlament und darüber hinaus für ein modernes, geschlechtergerechtes Familienbild mit gleichen Chancen und Verpflichtungen für Mütter und Väter einsetzen.

00:16:59: Vielen Dank, dass du heute mit dabei warst, wenn dir der Podcast gefällt, dann abonniere ihn oder folge mir auf meinen Social-Media-Kanälen. Ich freu mich, bis zum nächsten Mal.

00:16:59:

Über diesen Podcast

Der erste österreichische Polit-Podcast.

Henrike Brandstötter ist Abgeordnete zum Nationalrat. Sie ist NEOS-Sprecherin für Frauen & Gleichbehandlung, Medienpolitik, Afrika, Startups & EPUs, Auslandsösterreicher_innen sowie Afrika & Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht es um spannende Themen und unentdeckte Geschichten aus diesen Bereichen, gespickt mit Kuriositäten aus dem Leben im Parlament.

Henrike Brandstötter ist urban im Kopf, trägt das Landleben im Herzen, pendelt zwischen Wien und Mondsee und ist jedes Jahr mehrere Wochen als Backpackerin in Afrika unterwegs. Sie ist zudem Autorin und teilt ihre Gedanken gerne im Blog Brandrede.

von und mit Henrike Brandstötter

Abonnieren

Follow us